Kulturelles

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    Darth Vader meets Mephisto – Goethes “Faust” durch die VR-Brille erlebt

    Als Goethe im Jahr 1805 den ersten Teil seines „Faust“ schrieb, hat er sich vermutlich gewünscht, dass sein Werk noch im Jahr 2022 gelesen wird. Auch ich habe mich als Schülerin im Deutsch-Leistungskurs eingehend mit Faust, Mephisto, Gretchen und Co beschäftigt. Doch auf welche Weise es jetzt vom Goethe-Institut in Zusammenarbeit mit dem ZDF adaptiert wurde – das hätten weder Goethe noch mein damaliges Schülerinnen-Ich uns in unseren kühnsten Träumen ausmalen können. 

    Ein bisschen wie Darth Vader komme ich mir vor, an diesem Märznachmittag des Jahres 2022 im ersten Stock der Deutschen Nationalbibliothek, ausgestattet mit einer riesigen VR-Brille, die dem schwarzen Helm des „Star-Wars“-Fieslings nicht nur entfernt ähnelt. Zudem habe ich statt meiner eigenen Hände zwei weißleuchtende künstliche, aus denen Laserstrahlen wachsen, die an die Lichtschwerter der Yedi-Ritter erinnern. Ein Klick mit ihnen und die Außenwelt verschwindet. Ich befinde mich in einer kargen Wüstenlandschaft, ein Pudel taucht aus dem Nichts auf („des Pudels Kern“ fällt mir ein). Hinter mir erklingt eine Stimme, ich drehe mich um. Mephisto sieht exakt so aus, wie man ihn sich zu Schulzeiten vorgestellt hat: schwarzer Umgang, kalte Augen, fieses Grinsen. Ein Vogel fliegt auf mich zu. Er trägt eine Feder. Mit der soll ich – wie einst Dr. Faustus – den Pakt mit Mephisto unterzeichnen. Gar nicht so einfach, wenn man nicht mehr auf die eigenen Hände vertrauen kann. Erst im zweiten Anlauf gelingt es mir, die Feder zu greifen.

    Der Pakt ist geschlossen, jetzt reise ich an Mephistos Seite durch das Geschehen. In fünf Spielszenen mischen sich Ereignisse beider „Faust“-Teile: Wir treffen Gretchen (nein, die sieht nicht aus wie Prinzessin Leia, eher wie die Eiskönigin Elsa aus den Disney-Filmen), besuchen Philemon und Baucis in ihrem Häuschen, das den Allmachtphantasien des Faust weichen soll und treffen schließlich auf die Sorge, die Schuld, die Blindheit und den Mangel, die uns über das tragische Schicksal Gretchens aufklären. Das ganze eingebettet in phantastische, surrealistisch anmutende Landschaften, die die beklemmende Atmosphäre des Dramas unterstreichen.

    In zwanzig Minuten lerne ich so den Klassiker der Weltliteratur  noch einmal von einer ganz anderen Seite kennen. Viel zu schnell ist die Reise durch Goethes Faust vorbei, entledige ich mich meiner weißen Roboter-Hände und meines Darth-Vader-Helms, werden Felsen, Wüste und ein blühender Baum wieder zu ein paar Klebestreifen auf dem Fußboden im ersten Stock der Nationalbibliothek.

    Noch bis Ende April könnt auch ihr euch auf die virtuelle Reise mit Mephisto und Gretchen begeben.

    Der Eintritt ist frei, alle Infos und die Anmeldung findet ihr unter www.dnb.de

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    „Wir sind Menschen, die ihr Leben selbständig gestalten“ – Ein Besuch bei der Initiative Allenstein 

    Als Isolde Alleinstein 1972 Mitstreiter*innen für eine Tanzgruppe suchte, um ihrer Tochter ein wenig Spaß und Bewegung zu verschaffen, galten „Behinderte“ in Deutschland noch als mehr oder weniger lebensuntüchtige Menschen mit Defiziten. 

    Ein halbes Jahrhundert später hat sich diese Einstellung zum Glück grundlegend gewandelt. „Wir sind eine Gruppe von Menschen verschiedenen Alters, die ihr Leben selbständig gestalten. Einige von uns haben kleine Behinderungen bzw. Einschränkungen“, sagen die „Allensteiner“ von sich selbst. Zwischen 20 und 60 Jahren alt sind die Männer und Frauen, die sich in den Räumlichkeiten im ersten Stock des Hintergebäudes im „Haus der Volksarbeit“ treffen, wo die „Initiative Alleinstein“ seit 30 Jahren ihren Sitz hat. Damit hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf, denn die einstige Tanzgruppe ist zu einer Initiative mit vielen verschiedenen Angeboten gewachsen. Drei hauptamtliche und mehrere nebenberufliche und ehrenamtliche Mitarbeiter*innen stehen den „Allensteinern“ mit Rat und Tat zur Seite, bieten Unterstützung etwa bei Behördengängen oder der Arbeitssuche, kümmern sich um die 22 Mitglieder im betreuten Wohnen, organisieren den „Allenstein-Rat“, mit dem sich die Gruppe selbst verwaltet und stellen ein umfangreiches Freizeit-, Kultur- und Bildungsprogramm auf die Beine.

    Vor allem donnerstagabends sind die Räumlichkeiten mit Leben erfüllt: Dann probt die Theatergruppe, es wird gekegelt, Gymnastik gemacht, musiziert und geklönt – im Winter im gemütlichen Aufenthaltsraum mit Sofa, Kickertisch und Bar, ab Ende März wieder im Kräutergarten auf dem Balkon. Neue Gesichter sind dabei immer herzlich willkommen. Eine gut ausgestattete Küche lädt zum Kochen ein  – und dies zumindest vor Corona nicht nur zur kulinarischen Selbstverpflegung: denn die „Kochlöffelschwinger“ haben auch die Brötchen belegt, die sich die Mitglieder des Ortsbeirates vorne im Walter-Dirks-Saal während der Sitzungspause schmecken lassen konnten. Mehrmals im Jahr packt die Gruppe ihre Koffer und begibt sich auf Reisen – in diesem Jahr stehen Fahrten an die Nord- und Ostsee sowie zum Bodensee auf dem Programm; die Neujahrswanderung hat 24 Allensteiner*innen auf den Frankfurter Lohrberg geführt. Wohin es die Reisenden in den letzten Jahren verschlagen hat, zeigt eine kleine Galerie auf dem Flur: Die Frankfurter Künstlerin Julia Krause-Harder hat viele der Ausflüge begleitet und liebe- und humorvoll mit dem Zeichenstift festgehalten.

    Sogar mit einer eigenen Rockband kann die Initiative aufwarten. Aktuell suchen die „Rolling Allenstones“ übrigens engagierten und musikalischen Nachwuchs. 

    Besonders stolz ist Leiterin Heike Rösch auf ihre „Allenfedern“: Angeleitet vom Frankfurter Autor Marc Rybicki haben die zehn Mitglieder der Schreibgruppe jüngst einen eigenen Roman verfasst, der das (nicht nur für Menschen mit Einschränkungen) schwierige Liebes- und Alltagsleben in Zeiten der Corona-Pandemie thematisiert. Am 09. April stellt die Gruppe ihr Werk „Lockdown für die Liebe“ in einer öffentlichen Lesung vor, zum Preis von 10 Euro ist es ab sofort auch für jedermann und jedefrau zu haben. 

    Nicht nur Romanheld Ben, sondern auch Heike Rösch und ihr Team und natürlich alle Allensteiner*innen wurden in den vergangenen beiden Jahren vor ungeahnte Herausforderungen gestellt. Nicht allen Mitgliedern der Gruppe sei der Umstieg auf den digitalen Austausch leichtgefallen, erzählt Rösch. Mit Hilfe von Whatsapp-Gruppen, telefonischen Kontakten und einem monatlich erscheinenden Newsletter gelang der Spagat letztlich. Aktuell treffen sich die „Allensteiner“ wieder im „Haus der Volksarbeit“; kommen darf, wer geimpft oder genesen ist und darüber hinaus einen tagesaktuellen Test und/oder eine Boosterimpfung vorweisen kann. Auch wenn ein „großes Faschingstreiben“ dieses Mal entfallen muss – den Weiberfasching am 24. Februar will sich die Gruppe nicht nehmen lassen.

    Gerne würde Heike Rösch das Beratungs- und Freizeitangebot und auch das betreute Wohnen weiter ausbauen. Dass das zur Zeit eher schwierig ist, ist weniger eine Frage des Budgets, sondern vor allem des Arbeitsmarktes: Wie überall im Pflege- und Betreuungsbereich sind gute und qualifizierte Fachkräfte Mangelware. Aktuell sucht Rösch einen oder eine Mitarbeiter*in, die sich auf Honorarbasis um die Allensteiner*innen kümmert. „Interessierte können sich gerne bei mir melden“. 

    Mehr Infos zur Initiative Allenstein findet ihr hier.

    Kontakt: h.roesch@hdv-ffm.de