„Wir sind Menschen, die ihr Leben selbständig gestalten“ – Ein Besuch bei der Initiative Allenstein
Als Isolde Alleinstein 1972 Mitstreiter*innen für eine Tanzgruppe suchte, um ihrer Tochter ein wenig Spaß und Bewegung zu verschaffen, galten „Behinderte“ in Deutschland noch als mehr oder weniger lebensuntüchtige Menschen mit Defiziten.
Ein halbes Jahrhundert später hat sich diese Einstellung zum Glück grundlegend gewandelt. „Wir sind eine Gruppe von Menschen verschiedenen Alters, die ihr Leben selbständig gestalten. Einige von uns haben kleine Behinderungen bzw. Einschränkungen“, sagen die „Allensteiner“ von sich selbst. Zwischen 20 und 60 Jahren alt sind die Männer und Frauen, die sich in den Räumlichkeiten im ersten Stock des Hintergebäudes im „Haus der Volksarbeit“ treffen, wo die „Initiative Alleinstein“ seit 30 Jahren ihren Sitz hat. Damit hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf, denn die einstige Tanzgruppe ist zu einer Initiative mit vielen verschiedenen Angeboten gewachsen. Drei hauptamtliche und mehrere nebenberufliche und ehrenamtliche Mitarbeiter*innen stehen den „Allensteinern“ mit Rat und Tat zur Seite, bieten Unterstützung etwa bei Behördengängen oder der Arbeitssuche, kümmern sich um die 22 Mitglieder im betreuten Wohnen, organisieren den „Allenstein-Rat“, mit dem sich die Gruppe selbst verwaltet und stellen ein umfangreiches Freizeit-, Kultur- und Bildungsprogramm auf die Beine.
Vor allem donnerstagabends sind die Räumlichkeiten mit Leben erfüllt: Dann probt die Theatergruppe, es wird gekegelt, Gymnastik gemacht, musiziert und geklönt – im Winter im gemütlichen Aufenthaltsraum mit Sofa, Kickertisch und Bar, ab Ende März wieder im Kräutergarten auf dem Balkon. Neue Gesichter sind dabei immer herzlich willkommen. Eine gut ausgestattete Küche lädt zum Kochen ein – und dies zumindest vor Corona nicht nur zur kulinarischen Selbstverpflegung: denn die „Kochlöffelschwinger“ haben auch die Brötchen belegt, die sich die Mitglieder des Ortsbeirates vorne im Walter-Dirks-Saal während der Sitzungspause schmecken lassen konnten. Mehrmals im Jahr packt die Gruppe ihre Koffer und begibt sich auf Reisen – in diesem Jahr stehen Fahrten an die Nord- und Ostsee sowie zum Bodensee auf dem Programm; die Neujahrswanderung hat 24 Allensteiner*innen auf den Frankfurter Lohrberg geführt. Wohin es die Reisenden in den letzten Jahren verschlagen hat, zeigt eine kleine Galerie auf dem Flur: Die Frankfurter Künstlerin Julia Krause-Harder hat viele der Ausflüge begleitet und liebe- und humorvoll mit dem Zeichenstift festgehalten.
Sogar mit einer eigenen Rockband kann die Initiative aufwarten. Aktuell suchen die „Rolling Allenstones“ übrigens engagierten und musikalischen Nachwuchs.
Besonders stolz ist Leiterin Heike Rösch auf ihre „Allenfedern“: Angeleitet vom Frankfurter Autor Marc Rybicki haben die zehn Mitglieder der Schreibgruppe jüngst einen eigenen Roman verfasst, der das (nicht nur für Menschen mit Einschränkungen) schwierige Liebes- und Alltagsleben in Zeiten der Corona-Pandemie thematisiert. Am 09. April stellt die Gruppe ihr Werk „Lockdown für die Liebe“ in einer öffentlichen Lesung vor, zum Preis von 10 Euro ist es ab sofort auch für jedermann und jedefrau zu haben.
Nicht nur Romanheld Ben, sondern auch Heike Rösch und ihr Team und natürlich alle Allensteiner*innen wurden in den vergangenen beiden Jahren vor ungeahnte Herausforderungen gestellt. Nicht allen Mitgliedern der Gruppe sei der Umstieg auf den digitalen Austausch leichtgefallen, erzählt Rösch. Mit Hilfe von Whatsapp-Gruppen, telefonischen Kontakten und einem monatlich erscheinenden Newsletter gelang der Spagat letztlich. Aktuell treffen sich die „Allensteiner“ wieder im „Haus der Volksarbeit“; kommen darf, wer geimpft oder genesen ist und darüber hinaus einen tagesaktuellen Test und/oder eine Boosterimpfung vorweisen kann. Auch wenn ein „großes Faschingstreiben“ dieses Mal entfallen muss – den Weiberfasching am 24. Februar will sich die Gruppe nicht nehmen lassen.
Gerne würde Heike Rösch das Beratungs- und Freizeitangebot und auch das betreute Wohnen weiter ausbauen. Dass das zur Zeit eher schwierig ist, ist weniger eine Frage des Budgets, sondern vor allem des Arbeitsmarktes: Wie überall im Pflege- und Betreuungsbereich sind gute und qualifizierte Fachkräfte Mangelware. Aktuell sucht Rösch einen oder eine Mitarbeiter*in, die sich auf Honorarbasis um die Allensteiner*innen kümmert. „Interessierte können sich gerne bei mir melden“.
Mehr Infos zur Initiative Allenstein findet ihr hier.
Kontakt: h.roesch@hdv-ffm.de
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